XIII. Verd und die Kutschen

– Wir müssen reden!, sagt Verd auf einmal. Ich stutze.

– Ok, sage ich dann und setze mich.

– Immer wieder fragen mich die Leute hier danach, was es genau mit mir und der Mobli-li-tät auf sich hat, sagt Verd. Dafür würde ich gerne eine zufriedenstellende Antwort finden. Außerdem wollte ich anmerken, dass ich nun schon mehrmals auf der Straße als Eichhörnchen beleidigt wurde und das finde ich nicht in Ordnung.

– Also wegen dem Eichhörnchen kann ich dir wenig helfen, sage ich entschuldigend. Vielleicht solltest du weniger impulsiv auf Gegenständen im Öffentlichen Raum umher hüpfen. Das ist nicht sehr pferdehaft.

– Pfffffrrrr, macht Verd und hüpft zum Trotz auf dem Tisch herum.

– Jetzt zum zweiten Problem: Mobilität war das Thema, das uns vorgegeben wurde. Ihr Pferde wurdet von der Technisierung abgelöst. Deswegen schaue ich mir nun Vechta zusammen mit einem Pferd an, und nicht mit einem Hund.

– Ihhh! Hunde!, sagt Verd. Und nach einer Pause: Lass uns doch eine Zeitreise machen! In eine Welt voller Pferde. Mobli-lität-er-ät!

 

Mangels einer Zeitmaschine fahren wir zum Seniorchef der Ziegelei. 1907 wurde der Familienbetrieb vom Urgroßvater gegründet und wird heute von seinem Sohn weitergeführt. Der Seniorchef hat viele Gerätschaften von damals aufbewahrt, in den Scheunen rund um sein Haus. Er begrüßt uns freundlich und öffnet seine Tore. Unser Blick fällt zuerst auf eine schwarze Kutsche, die uns an alte Dracula-Filme erinnert.

– Das ist ein Landauer, erklärt unser Begleiter. Mein Urgroßvater hat sie damals bauen lassen. Sie wurde mit Zeitungen gepolstert und mit Stoff überzogen. Der Landauer ist ein Cabriolet – das Dach kann geöffnet werden.

Verd läuft zu den Deichseln der noblen Kutsche, die nun am Boden liegen.

– Na?, sage ich spöttisch zu Verd. Willst du mal probieren? Das wäre jetzt richtig mobil.

– Haha, antwortet es beleidigt. Mobil wäre es, wenn du sie ziehst!

Um keinen Streit aufkommen zu lassen, erzählt der Seniorchef von der Arbeit mit Pferden. Der Ton wurde auf sogenannten Loren von den Pferden aus der Grube hochgezogen. Erst ab dem 2. Weltkrieg wurden sie von einer Lok abgelöst. Auch der Mahlvorgang wurde mit Hilfe eines Pferdegöpels getan: Die Pferde liefen im Kreis und bewegten trieben durch eine Stange ein Mahlwerk an, das den Lehm zerkleinerte. Zeichnungen dieser Geräte zieren die Wände der Scheune.

– Und wann kamen die Autos? fragt Verd.

– Unser erstes Auto hatten wir in den 30er Jahren, erzählt der Seniorchef. Noch bis zu den 50ern nutzten wir Kutschen.

Wir gehen weiter zu der nächsten Scheune. Dort sind die landwirtschaftlichen Geräte untergebracht. Ein Pflug, der von Pferden gezogen wurde.

– Wie idyllisch, sage ich. Alle Felder mit Pferden zu beackern. Kein Motorenlärm.

– Hallo??, ruft Verd entrüstet. Was ist mit Selbstbestimmungsrecht für Tiere? Sie können ja nicht entscheiden, ob sie arbeiten wollen.

Der Seniorchef zeigt auf das Brandeisen, mit dem die Oldenburger Pferde markiert wurden. Verd weicht mit angsterfüllten Augen und geweiteten Nüstern zurück: Sklaverei!, flüstert es entsetzt. Es geht weiter zu einem Schlitten zum Transport von Holz.

– Das hat den Pferden doch sicher Spaß gemacht, sage ich. So mit dem Schlitten durch den Schnee zu galoppieren.

– Liest du keine Geschichtsbücher?, fragt Verd entrüstet. Die Pferde hatten Arbeitszeiten wie Menschen: Von 7 bis 18 Uhr. Sehr kleine Pferde wie mich hätten sie im Bergbau eingesetzt, in Dunkelheit und Hitze. Spaß im Schnee? Da war nichts mit die ganze Nacht Serien anschauen, Cola schlürfen und bis mittags schlafen. Das tun Verde doch am liebsten!

– Ja, sage ich, so wie heute Nacht um vier Uhr, als du die Lautsprecher aufgedreht hast, während ich schlafen wollte.

Der Seniorchef erzählt zum Abschied wie der Familienbetrieb in den letzten 111 Jahren gewachsen ist. Von acht Ziegeleien in Vechta ist nur noch eine übrig. Sie exportiert nach ganz Deutschland, aber auch in andere Länder wie Russland. Wie bei allen Firmen: Logistisch ist es sicher sinnvoll die Arbeit zu konzentrieren. Aber es hat auch Nachteile. Ausgestoßene Schadstoffe verteilen sich nicht mehr auf acht Standorte, sondern konzentrieren sich auf einen. Auch wenn es heute moderne Filteranlagen gibt.

– Mobil war es schon immer, stellt Verd auf dem Heimweg fest. Das werde ich den Leuten sagen: Kleiner, langsamer, besser zu denken!

– Also doch Pferde statt Motoren?, frage ich.

– Pffffrrr, macht Verd. Wir steigen in unser Auto ein, lassen die Landschaft vorbeirasen, stoßen Schadstoffe aus und prosten uns selbstbestimmt mit Cola zu.