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VERMESSUNGEN 4: „Bananenrausch“

Es rät der Doktor: Ruhe. Heißer Tee und Salzpastillen, Waldspaziergang, warme Socken. Vitamin C aus frischem Obst. Und dann kuschel dich ins Bett, gönn dir eine feine Tiefkühl-Chilipizza, die dir die Tränen in die Augen und den Schmodder aus dem Näschen treibt, und dazu staffelweise Dokuserien über den schönen deutschen Wald, ein bisschen Swipen in der Dating-App – dann schlaf.

Tu dies, und du wirst genesen. Tu dies, und dein Leben wird wieder in geregelten Bahnen verlaufen, tu all dies, und deine Mama wäre stolz auf dich – nur tu eines nicht: Triff dich nicht mit einem dir unbekannten Menschen in einer Bar namens Banane in einer Stadt namens Vechta, die du dir ohne Zweifel wieder schön trinken wirst, also pack den Tabakbeutel gar nicht erst aus, roll dir diese Kippe nicht und auch das zweite und das dritte und das vierte Haake-Beck, belasse sie ungetrunken im Fass, kurz: Zeche nicht in Vechta, niemals, vor allem aber nicht erkältet.

Tja.

Einmal drin in der Banane, schaffte der rote Affe keinen Absprung mehr, logisch, und noch ein Haake hinterher, aber beim Kickern waren wir echt tonangebend und das für Stunden, bis der Laden dichtmachte, und der Tag danach viel zu schnell anbrach …

Und wie. Brennenden Rachens öffnete ich die Augen. Erkannte durch einen verklebten Spalt die Uhrzeit – bis Mittag war es nicht mehr lang. Auf dem Handy zeigte die Luca App an, dass ich nun seit sechzehn Stunden in der Banane eingecheckt war – weil vercheckt mich auszuchecken – da war es nur folgerichtig, dass der Aufenthalt offiziell erst jetzt beendet wurde. Draußen stürmte es. Das namenlose Wetterextrem sei der erste große Herbststurm, hieß es im Deutschlandfunk. Der Kaffee tat gut. Der äußere Sturm konnte jedoch nicht ansatzweise mithalten mit jenem, der in meinem Inneren tobte und mir die Eingeweide aufwühlte, herrje, ich arme Maus.

Ich kroch also ins Bett zurück, um möglichst gemächlich warm zu werden mit diesem kalten Tag, während der Regen wilde Free-Jazz-Rhythmen gegen die Fenster trommelte, und sich der Wind darüber einen abdudelte wie ein verstimmtes Altsaxophon. Auf Social Media erfuhr ich, dass die Frankfurter Buchmesse in vollem Gange war, und lange war es noch nicht her, überlegte ich, dass ich selbst dort hingefahren war, als Literaturagent, und zwar Jahr für Jahr, immer eine ganze Woche lang, mit bis zu zwanzig täglichen Terminen. Wie ich so dalag auf meiner Vechtaer Bettstatt und in mein jaulendes Inneres hineinhorchte, kam mir der Gedanke, dass ich den Trubel der Messe nicht so recht vermisste. Zumal mein aktuelles – nomadisches – Leben mehr als genug Trubel bedeutete. Von Ort zu Ort reisen, immer ein wenig on the run. Das hält lebendig.

Das physische Unterwegssein erzeugt auch im Schreiben ein gewisses Nomadentum: Ich nehme auf, was mir am Wegrand begegnet, schlage mich ins Dickicht, mache kleine Geschichten ausfindig, die ich nicht einwecke oder trockne sondern mir ohne Umstand einverleibe. Also kein Bauer, eher so der Jäger- & Sammler-Typ. Schreibende Bäuerinnen und Bauern haben ihren eng umzäunten, ständig bedrohten Grundbesitz, der sie bindet. Sie beackern ein Feld, hegen und pflegen es, schützen es gegen Eindringlinge, bewässern es bei Dürre und hoffen auf eine reiche Ernte, die sie den Winter überstehen lässt. Ich dagegen schere mich nicht um den Winter. Wird es kalt, ziehe ich weiter. Zwar haben die Sesshaften einen zivilisatorischen Vorteil, aber nur solange das Wetter mitspielt. Im Gegenzug müssen sie sich an viele Regeln halten. Heißt konkret: Mir fehlt die Gesetztheit (derzeit) und der literarische Tunnelblick, den es braucht, um einen Roman zu schreiben. Stattdessen habe ich kleine, geschmeidige Formen für mich entdeckt, bleibe beweglich wie ein Wildbeuter zwischen den Formen und Orten. Mein Schreiben passt sich der Situation und dem vorgefundenen Material an, anstatt die Situation so lange zu verändern, bis sie zum Schreiben passt. So auch in Vechta.

Etwa in der Banane: Was ich dort erlebte, war ein Schaulaufen der lokalen linksradikalen Szeneköpfe. Von SPD-Parteifunktionären bis hin zu schlurchigen Freaks, die sich für Themen wie Flüchtlingshilfe oder Gender Diversity einsetzten, war an dem Abend wirklich alles versammelt – das ganze Vechtaer Zecken-Gesocks, das sich bisher gut vor mir versteckt gehalten hatte, war aus diversen Löchern hervorgekrochen. Und diese Steineschmeißer*innen und links-grün versifften Kommunard*innen sagten mir, dass nicht alles gar so rosig war in der Gegend, wie man meinen sollte, denn auch hier gäbe es Nazis, auch hier bekäme man manchmal Probleme im Beruf, wenn man sich als queer outete, auch hier würden ein paar Kids, die gegen einen multinationalen Geflügelkonzern demonstrierten oftmals kriminalisiert. Ich hörte mir das alles an, legte nur zu gerne den Artist in Residence an der Eingangstür ab und kam als Artist in Resistance wieder hervor, aber irgendwann war es dann ja auch gut gewesen mit der miesepetrigen Weltverbesserei, denn in Vechta wollten wir doch vor allem eins: das Gute Leben.

Nicht anders als die grölenden Dörfler aus dem Umland, die sich unter die Studis gemischt hatten, oder F und L, zwei coole, irgendwie knuffige Erstis, die sich aufs Kickern mit uns eingelassen hatten, nicht anders als D aus Russland, der nie wieder zurückgehen wollte, weil er es dort scheiße fand, niemals weg aus Vechta – nicht anders als alle andern auch.

Ich erfuhr, dass in meiner Mühle auf dem Gut Welpe früher eine große Studi-WG gewesen war, legendär für die krassesten Partys. Ich erfuhr, dass auch in Vechta allerlei Drogen konsumiert würden. Die Grenze nach Holland sei nicht weit, das Geschäft brumme, aber versteckt, denn die soziale Ächtung war gefürchtet: „In Vechta kennt jeder jeden“, das war ein Satz, den ich nicht nur an diesem Abend oft zu hören bekam und vielleicht war es der, der mir am meisten Angst einjagte. „Wenn du nackt über die Große Straße läufst, weil du eine Wette verloren hast“, erzählte einer, „weiß es morgen die ganze Stadt“. Das ist blöd. Aber vielleicht lag ja darin gerade der Reiz.

Sollte sich die Stadt an mich erinnern als den, der in der Banane im Vollsuff an der Bar hing, so soll es mir nur recht sein. Oder als den, der mehr oder minder flennend im Raum gestanden hat, nachdem ihm L seine Adoptivgeschichte erzählt hatte. Oder den, der den ganzen Abend in Leggins und zerrissenen Shorts umherlief, dazu bunter Nagellack – und wenn nicht, dann hoffentlich ab jetzt.

Auf dem Nachhauseweg schickte ich mir selbst eine Sprachnachricht: „Dem Wahnsinn“, philosophierte ich, „kann man nur mit noch mehr Wahnsinn begegnen“, und kam mir unglaublich tiefgründig vor dabei.

Dann krabbelte ich ins Bett.

Die Pizza war bestens. Auf 3sat lief eine wunderschöne Doku, und als der Borkenkäfer den halben Bayerischen Wald aufgefressen und ich bei Fanny aus Bremen nach rechts gewischt hatte, schlief ich ein, und das ist die Wahrheit, nichts als die Wahrheit.