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VERMESSUNGEN 3: „Von Sinnen und Tieren“

Iaaaaaah! Ich bin krank. 🙁

Und doch habe ich mir eben einen Energy Drink namens Kong Strong Wild Power reingestellt, und zwar fĂŒr dich, mein Vechta, nur fĂŒr dich, mein Schatz, mein Heroin, fĂŒr das ich sĂ€ckeweise Katzenbabys töten wĂŒrde, fĂŒr dich, mein MĂ€dchen mit den Strahleaugen aus dem Nachbardorf, auf dessen Liebe ich hoffe, wenn ich jenes Glas gefĂŒllt mit Kaulquappen leere, das ihr großer Bruder mir unter die Nase hĂ€lt, fĂŒr dich, mein Elon Musk, mein Heiland, ich will ein Kind von dir, ich baue dir eine Marsrakete grĂ¶ĂŸer als Erika „Aya“ Eiffels Eheturm und vergieße mein letztes Tröpfchen Intellekt fĂŒr dich, bis nur noch ein blutleeres Hautkleid bleibt, leichtentzĂŒndlich, ohne RĂŒckgrat, fĂŒr dich – die Göttin, zu der ich bete, bevor ich in die Arena ziehe und mich den Klauen der Wildkatzen ausliefere, deren Babys ich tötete.

Ich lerne zu ertragen. FĂŒr dich trotze ich diesem diffusen Körperempfinden, das mich in dunkelste Kindheitstage zurĂŒckversetzt, ignoriere die golfballgroß geschwollenen Mandeln in meinem Hals, die schmerzenden Ohren, die TrĂ€gheit der Gedanken, den Nasalsekretfluss (der reißend genug wĂ€re, um Katzenbabys darin zu ertrĂ€nken), vor allem aber trotze ich dem schlimmsten Symptom meiner KrĂ€nkung: dem unbĂ€ndigen Drang zur Wiederholung metaphorischer MittelmĂ€ĂŸigkeiten, jedenfalls ab sofort, versprochen.

Das Gute ist: Corona ist dann wohl ĂŒberstanden! Denn wenn es etwas gab in den Monaten der Pandemie, das das Leben – zumindest in den GroßstĂ€dten – angenehmer machte, dann war es die paradoxe Tatsache, dass man nicht mehr erkrankte, nicht mehr mit dem ĂŒblichen Alltagskleinscheiß angesteckt wurde wie sonst. Ich zumindest war nun zwei Jahre lang kerngesund.

Jetzt aber bin ich siech und auf zuckerfreiem Energy Drink und lass es mir deshalb nicht nehmen, hier einen bronchialen literarischen Terz zu machen, oder brachial wie ein Riesenaffe, der die Ketten seiner Gefangenschaft zerfetzt und sich in die Höhe schwingt, die Wolkenkratzer der Kunst erklettert und ordentlich auf die Kacke haut dort oben, KONG STRONG eben. Aber auch ein Riesenaffe muss mal zur Besinnung kommen, hockt sich also auf den Hosenboden, zumal er eine gute Aussicht hat ĂŒber die Vechtaer Landen.

Er schließt die Augen. Was riecht er?

Rauchige Landluft, angenehm, nur manchmal eine Note von GĂŒlle-, Schweine- oder Putenduft, aber daran hat sich seine breite Nase lĂ€ngst gewöhnt.

Und was hört er?

Traktoren. Summende MĂ€hroboter. Schreie. Die Schreie der GĂ€nse, die in großen Formationen gen SĂŒden ziehen, der Kraniche, die sich zu Tausenden im Moor zusammentun, um den GĂ€nsen zu folgen – und des plattdeutschsprachigen Esels vom Gut FĂŒchtel: Iooooouh!

Neulich noch war ich in Sachsen-Anhalt. Es war Balzzeit, und ich hörte nachts die Hirsche röhren. Abgefahrene GerĂ€uschkulisse, muss ich sagen. Die Geschichte von dem Affen, der dem schreienden Esel lauscht, erinnert mich daran. Die Hirsche wiederum hatten mich an die BrĂŒllaffen in Tayrona erinnert, deren tiefe, kehlige, gurgelnde Schreie der Wind kilometerweit durch den karibischen Dschungel trug. Tja, und der Wind lĂ€sst die Assoziationskette wieder zurĂŒckschnellen, zurĂŒck nach Vechta, zurĂŒck zum Riesenaffen. Der will nix hören, will nix sehen, will nix schmecken, will nix sagen, will jetzt nur noch fĂŒhlen.

Was?