Fremde Handschriften

Zwei Szenen aus dem Alltag einer Stadtschreiberin:

I

Ich sitze auf einer Bank am Europaplatz und mache mir Notizen zu den Stichworten „sichtbar“ und „unsichtbar.“ Neben mir sitzt ein Mann.
Er:  Wie machst du das?
Ich: Was?
Er: So schreiben.
Ich: Wie?
Er: So.
Ich: Wie?
Er: Du hältst das Heft so und schreibst so.
Er macht Bewegungen, die andeuten, wie ich schreibe. Ich kann daran nichts Auffälliges erkennen.
Ich: Wie schreibst denn du?
Er nimmt das Heft auf seinen Schoss und legt es in eine schräge Position.
Ich: Diagonal?
Er: Also eigentlich auch von rechts nach links.
Ich: Schreib doch mal was.
Er schreibt von rechts nach links arabische Zeichen in mein Heft. Dort steht nun neben sichtbaren und unsichtbaren Notizen sein Name.

 

II

Ich sitze immer noch auf einer Bank am Europaplatz und mache mir Notizen zu den Stichworten „sichtbar“ und „unsichtbar.“ Neben mir sitzt nun ein anderer Mann.
Er: Was machst du da?
Ich: Ich mache mir Notizen.
Er: Warum?
Ich: Weil ich eine Geschichte schreiben will.
Er: Über die Leute da auf dem Platz?
Ich: Nicht nur über die Leute.
Er: Kann ich mal sehen?
Ich gebe ihm mein Heft. Er lacht.
Er: Ne, die Schrift kann ich nicht lesen. Du bist Linkshänderin?
Ich: Ja.
Er: Dann musst du mal zu McDonalds, da gibts gerade ein Linkshänderhamburger-Angebot.
Ich: Klar.
Er: Bei euch ist doch alles umgekehrt. Wenn Linkshänder Hamburger essen, ist doch oben unten? Bei dem neuen Angebot aber nicht. Soll ich mal was schreiben?
Ich: Das wäre schön. Schreibst du mir eine Geschichte?
Er schreibt:

Ein Mann kam zu dir und sagte
alles Klar?
Du sollst in Park gehen, da trifft
man immer gute Menschen.

Nun weiss ich, wo ich mich nächste Woche zum Schreiben hinsetzen werde.

Nächste Treffpunkte:

Montag, 20.4., 10 Uhr Campus Café

Dienstag, 21.4., 11 Uhr Kaffeerausch

Mittwoch, 22.4., 14 Uhr Hofcafé Gut Füchtel

Donnerstag, 23.4., 14 Uhr Zitadellenpark