III Vahrer

 

Es ist Mittwoch Morgen. Das Pferd und ich haben uns mit dem Fahrer der Uni verabredet. Obwohl wir rechtzeitig aufgestanden sind, trödelt das Pferd bis zur letzten Minute, tollt mit seinen schmutzigen Hufen auf der weißen Hotel-Bettdecke umher und will seine Möhren erst essen, als wir eigentlich schon längst losgemusst hätten.

Wir kommen völlig außer Atem an.

Der Fahrer lacht ein bisschen.

Ich habe mir das Pferd größer vorgestellt, sagt er.

Das Pferd schaut ihn von oben bis unten an:

Dich hab’ ich mir auch größer vorgestellt!, sagt es pampig.

Entschuldigen Sie, sage ich schnell. Morgens hat es immer ganz schlechte Laune.

…und strafe es mit einem bösen Blick.

Anschnallen, kommt es aus des Fahrers Mund.

Beiläufig wie ein Moin im Vorübergehen.

 

Es geht los: Eine Spritztour kreuz und quer durch Vechta! Für Verd und mich wird ein Traum wahr: Endlich können wir mit dem Fahrzeugstandard dieser Stadt mithalten!

Ja, sagt der Fahrer. Den Leuten geht’s gut hier.

Wir kommen uns verdammt wichtig vor, öffnen das Fenster und lassen uns den Fahrtwind durch die Mähne wehen. Verds Laune bessert sich.

 

Heute sammeln wir Geschichten des Fahrers. Sonst ist er derjenige, der Geschichten hört. Die Geschichten, die man ihm erzählt, fangen meist so an:

Es war einmal ein Professor, der nie nach Vechta wollte.

Und enden so:

Und dann ist er doch hier gelandet…

 

Seinen Job verdankt der Fahrer Vechtas schlechter Anbindung an die Welt.

Seit 18 Jahren wartet er auf Anrufe, die ihn mit einem „kannste mal eben nicht dahin?“ nach Hannover, Bonn, Berlin, Köln oder nach Göttingen schicken.

Seit 18 Jahren findet er die durchschnittlichen 160 Kilometer pro Arbeitstag gemütliche Routine.

Seitdem ist er froh nicht mehr für Versicherungen zu arbeiten.

Seitdem ist er froh nicht mehr 100 000km im Jahr zurückzulegen, nicht mehr 14 Stunden, sieben Tage die Woche zu arbeiten.

Ausgebrannt.

Aber jetzt ist es ok, mir geht es gut!

Damals haste sicher ganz schön viele Kaffee gesoffen?, fragt das Pferd.

Ne, sagt der Fahrer trocken. Bringt auch nichts.

Er kaut Kaugummi und erzählt weiter. Neben ihm ein Glas gefüllt mit rosa-farbenen Kaugummis. Das Pferd schaut die ganze Zeit gierig darauf.

Lass das lieber!, zische ich ihm zu.

 

Der Fahrer erzählt uns von der Zukunft: Von Drohnen, die Pakete ausliefern und Weltkonzernen, die den Luftraum beherrschen. Er hört beim Warten die Info-Sendungen der Radios und macht sich über die Welt Gedanken: Sicherheit im Verkehr, Arbeitsplätze, Wirtschaftspolitik…

Bis wir merken: Die Zukunft ist längst da, mitten im Auto der Uni.

Denn durch einen kleinen Projektor erscheinen Informationen vor ihm auf der Windschutzscheibe, ohne dass Verd und ich das von unserem Sitz aus erkennen können.

Science Fiction!! ruft das Pferd fröhlich.

Der Fahrer geht nicht darauf ein und erklärt geduldig.

Das Pferd murmelt noch ein paar Mal erstaunt das Wort „Head-Up-Display“ vor sich hin, während es sich wieder in Richtung Kaugummi- Lager bewegt und ich es bestimmt am Schweif zurück ziehe.

Fast sind wir wieder zurück. Der Fahrer entschließt sich noch eine extra Runde einzulegen.

 

Und: erzählt von früher: Von seinem ersten Auto, Kadett A, ohne Gurte, ohne Lehnen.

Und noch früher: Von Papa, dem sie von der Rückbank zuriefen:

Fahr ein Mal 80kmh!

Und alle jubelten, als es soweit war.

(- Das reimt sich… fast, ruft Verd und notiert sich die Zeile)

 

Wir nähern uns wieder der Uni, dem Gewusel aus Studenten.

Na?, sagt das Pferd. Bist du auch morgen beim Frühjahrsempfang im Rathaus? Ich habe eine eigene Einladung erhalten!

– Nee, sagt der Fahrer. Ich? Ich bin doch nur der Fahrer!

Eine kleine Pause.

Es ist nicht schlimm, sagt das Pferd dann. Ich bin doch auch nur das Pferd der Geschichte.

Da geben sich Verd und Vahrer zum Abschied die Hand.

(Anmerkung Verd: und den Huf!)

 

—–

 

Wir kommen nach Hause. Das Pferd beginnt zu jammern.

– Was ist denn los?, frage ich erstaunt.

– Mein Maul! Mein Maul!, ruft es.

Überall kleben rosa Kaugummifäden.

Hab ich dir nicht gesagt…?, fange ich an.

Der Fahrer war einverstanden!, sagt es kleinlaut.

Bis in den Nachmittag sind wir mit Kämmen, Rubbeln und Kratzen beschäftigt, bis ich es endlich befreit habe.

Mensch, sagt das Pferd. Mensch, hättest du mich mal davon abgehalten!