VI. Verd mit Sinnkrise

(Video siehe unten)

 

Heute nehmen Verd und ich eine Stunde Hippologie. Der Pferdezüchter wird von der Geschichte des Pferds in der Region erzählen und uns durch seine Ställe führen.

Verd ist ziemlich aufgeregt. Wir nehmen das Rad um dorthin zu fahren. Verd sitzt wie immer auf der Lenkerstange und plappert unentwegt: Ob die großen Pferde wohl nett sind? Dass es mit ihnen auf der Koppel spielen möchte. Zwischendurch wiehert es. Der Wind zerzaust seine Mähne.

 

Wir warten im Café des Guts.

Ein Hund sitzt in der Ecke, springt auf, als er Verd sieht und bellt immer wieder. Ein Pferd im Café irritiert nicht nur ihn.

Der Pferdezüchter kommt und begrüßt uns freundlich. Das ist das Pferd?, fragt er. Und nach einer eingehenden Musterung: Sieht eher aus wie ein Pony.

Ein Pony?? kreischt Verd entsetzt. Pfrrrr, schnaubt es und geht beleidigt in eine Ecke.

Der Pferdezüchter erzählt von seinem Gut, das es schon seit dem 12. Jahrhundert gibt. Er arbeitet nun in der 4. Generation auf dem Familienbetrieb, der nach und nach von einem Rinderhof zu einer international erfolgreichen Pferdezucht umgewandelt wurde.

Der Hund bellt, weil sich Verd inzwischen ungefragt auf seinen Rücken gesetzt hat. Ich eile hin, schnappe es und setze es wieder vor uns auf den Tisch.

So, sagt Verd wirsch. Dann erzählen Sie doch mal von der Geschichte!

Eigentlich wurden die Pferde vom Traktor verdrängt, erzählt uns der Pferdezüchter. Sie waren Arbeitstiere in der Landwirtschaft und mit der zunehmenden Mechanisierung wurden sie nicht mehr gebraucht. Deshalb sind die Züchter auf Reitsport umgestiegen. Ab den 60er, 70er Jahren begann die Umzüchtung.

Pffrrrr, macht Verd. Traktoren mochte ich noch nie!

…und beginnt sich über den Blumenstrauß auf dem Tisch herzumachen.

Früher wurden die Arbeitstiere für den Reitsport verwendet, erzählt der Züchter weiter. Sie waren schwer, wuchtig und kleiner. Jetzt brauchen sie andere Eigenschaften: längere Beine, damit sie sich besonders erhaben bewegen können.

Erhaben? So wie ich?, ruft das Pferd und klettert auf die Tafel der Angebote des Tages.

Aber nicht nur die Landwirtschaft wurde optimiert, auch die Pferdezucht. Mit vier Mitarbeitern kümmern sie sich hier um 100 Pferde.

Auch der Zuchtvorgang selbst wurde optimiert: Sperma wird auf Hengststationen gewonnen und verschickt. Es erfolgt eine künstliche Befruchtung. Ausgesuchte Hengste für ausgesuchte Stuten.

Wie unromantisch!, ruft Verd entsetzt.

Den Stuten werden kleiner Sender eingenäht, die einen Alarm auf dem Handy erzeugen, wenn die Stute fohlt. So muss der Züchter nicht mehr tagelang im Stall übernachten.

 

Verd hat sämtliche Blüten des Straußes auf dem Tisch abgegessen.

Gehen wir in den Stall, sagt der Züchter. Ein Café ist kein Ort für ein Pferd.

 

 

Wir betreten den Stall. Wir nähern uns einer der prächtigen Stuten mit glänzendem Fell und endlosen Beinen, so dass jedes Topmodel klein beigeben würde.

Mann, ist die riesig!, flüstert Verd.

Und du bist ziemlich klein, sagt die Stute.

Es spricht, kreischt Verd und versucht in meine Jacke zu kriechen.

Nicht so schüchtern, sagt der Pferdezüchter.

Verd geht langsam näher.

Sogar das Fohlen ist viel größer als ich, flüstert es.

Die Stute beugt sich zu ihm. Verd weicht zurück. Dann streckt es seine Schnauze nach vorn und die Stute gibt ihm einen dicken Schmatzer auf die Stirn.

 

Sie waren alle viel größer als ich!, sagt Verd betreten zurück zu Hause.

Körpergröße ist ja nicht gleich innere Größe, versuche ich es zu beruhigen.

Pfffrrrr, macht es. Und dann: Sag mal, würdest du mich eher als Nutztier, als Haustier oder als Wildtier bezeichnen?, während es auf dem Sofa auf und ab hüpft.

Ich schaue ihm eine Weile dabei zu.

Hm, sage ich. Ich denke, du gehörst eher zu der ganz seltenen Gattung der Verde! Und die ist schließlich die wichtigste.