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Randnotiz: Hotelkellerflur

22.03.2024

Hotelkellerflur also. Hier wollten wir unbedingt noch gemeinsam schreiben, bevor wir in unsere Stadtvilla umziehen. Wir haben den Flur zwischen Packen und Workshop gequetscht und sitzen am Ende des langen, grau-schwarzen Teppichs.

Quietschen ist zu hören, wie von einem kleinen Kind. Aber es ist wohl der Staubsauger, der über den Boden fährt. Jetzt wird das Gerät nachgezogen. Poltern. Die Reinigungskraft fasst sich unwillkürlich an den Kopf, als sie uns sieht. 

„Brauchen Sie Hilfe?“ 
„Nein, wir wollen für unser Projekt hier schreiben, bitte nicht wundern.“

Sie lacht und macht eine Handbewegung mit ihrer linken Hand, die auf „die zwei Verrückten“ hindeutet. 

„Genau so ist es.“ 

Hotelkellerflur. Am Anfang irritierend, jetzt unser Rückzugsort.

Ich hab den Keller lieb gewonnen. Das Licht geht aus. Nur noch das Fluchtwegsschild leuchtet. Kein Mensch da, den der Bewegungsmelder zu fassen bekommt und wir sitzen viel zu starr im Eck. Das Tippen unserer Finger auf den Handybildschirmen reicht nicht, um den Bewegungsmelder erneut auszulösen.

Unsere Blicke gehen geradeaus. Da liegt der Müll, der im Flur abgestellt ist und vor ihm hängt ein Schild „Bitte hier keinen Müll abstellen, sondern im Hinterhof in den Container.“

Ein Föhn hinter verschlossenen Türen ist zu hören. Hier werden gerade Haare trocken. Wessen Haare? Föhn geht aus – Fertig. Lucia lehnt sich zurück und das Licht geht wieder an. Ein bisschen zu einfach. In meinem Kopf hatte ich die Vorstellung, dass es von einer anderen Person aktiviert wird, die sich dann zu Tode erschreckt, über die zwei Frauen, die am Ende des dunklen Hotelkellerflurs wortlos auf ihre Handys eintippen.

Drei halbrunde Lampen verströmen warmes, gelbgrünes Licht, das zu den grünlichen Bildern passt, auf denen Linien aus Sand für ein haptisches Erlebnis sorgen. Sie fühlen sich an wie Schmirgelpapier. Im Vorübergehen kann man sich damit überschüssige Haut von den Fingerkuppen schmirgeln.

Irgendwo läuft Wasser. Man kann die Straße von draußen dröhnen hören. Die Durchfahrtsstraße, in der die Pendler rasen. Über uns wird geputzt und gesaugt. Das Zimmer hinterlassen wir heute. Ein Vechta-interner Umzug.

Komme mir vor, als wären wir Jugendliche, die an irgendeinem öffentlichen Spot W-LAN catchen. Aber W-LAN gibt es auch im Kellerzimmer. Nur kein Netz, um jemanden anzurufen oder angerufen zu werden. Abgetaucht in Vechta. Im Hotelzimmer sind die Fenster mit Sichtschutzfolie verklebt. Man sieht nicht rein, aber auch nicht raus. Wenn man das Fenster öffnet, schaut man von unten auf Kies und durch Gitter auf die Straße.

Eine Steckdose gibts in der Mitte des Flurs. Von dort muss das Kabel des Staubsaugers bis an beide Enden des Flurs reichen. Ein Ausdehnen um die Stromquelle herum.

Das Licht im Flur geht wieder aus. Auf wieviel Minuten ist die Zeitschaltuhr gestellt? Ich räuspere mich. Es hallt im Flur. Ein leichter Luftzug ist zu spüren. Im Treppenhaus, das den Flur in seine zwei Gänge teilt, geht eine Lampe an. Ein Mann mit einer großen Papiertüte steigt in Flipflops und kurzer Hose die Treppen hinab. Er schnauft. Läuft auf die andere Seite des Flurs – nicht zu uns. Da er uns nicht entdeckt hat, erschreckt er sich auch nicht vor uns. Nur unsere Handys leuchten hier am anderen Ende des Flurs. Ich habe Herzklopfen und sitze hier mit mehr Aufregung davor, dass sich jemand vor uns erschrecken könnte, als vor dem Workshop, den wir gleich leiten werden.

Es klappert und poltert. Die Melodie einer Waschmaschine piepst. Der Mann stellt sein Waschprogramm ein. Einzelne Töne nach kurzen Pausen, wie ein kleines Singvogel-Repertoire. Ein bestätigender Signalton, die Maschine verriegelt sich und Wasser strömt ein. Schlüssel klimpern. Der Mann kommt ohne Tüte zurück. Er sieht jetzt die zwei leuchtenden Handybildschirme am Ende des dunklen Flurs. Wir waren bewegungslos genug, dass auf unserer Seite immer noch kein Licht angegangen ist. Er geht nochmal ein Stück zurück, um genauer hinzusehen. Wir kichern leise. Dann steigt er die Treppen wieder hoch. Wir bleiben sitzen. Hier saß bestimmt noch nie jemand. 

Ich beruhige mich damit, dass – wenn er es gleich beim Service-Personal meldet – die Angestellte von vorhin informiert ist und ihr Urteil lautet: „Die sind harmlos“.

Wir lehnen an der Tür einer Abstellkammer. Um in den Raum hineinzukommen, muss man den Teppich ein Stück anheben. Ein Staubsauger liegt dort und der W-Lan-Router hängt an einer Wand. Ich kann mir einbilden, dass er auf meinen Hinterkopf strahlt. Wir wissen das, weil wir nachgeschaut haben, was sich hinter der Geheimtür verbirgt. Sie war nicht verschlossen, aber der graue Teppich, auf dem wir sitzen, verkeilt die Tür, sodass man ihn erstmal anheben muss, um sie zu öffnen.

Das Licht ist immer noch aus. Schritte im Treppenhaus. Motorgeräusch von irgendwo. Ein Rasenmäher? In Lucias Zimmer fehlt der Feuermelder. Gefährlich, da in allen Zimmern gekocht werden kann. Habe versucht, anhand der vielen Gerüche die gekochten Gerichte der anderen Kellerbewohnenden zu identifizieren, aber bald aufgegeben. Es ist eher so, dass man Bestandteile wie Ei oder Fett erahnen kann.

Man mag glauben, dass hier unten gar nicht so viel passiert, oder niemand hier lebt, aber das stimmt nicht.

Poltern von oben. 

Gleich gehen wir mit Regenschirmen durch Vechta. Vechta bei Regen hatten wir noch nicht. 

Der Keller konfrontiert uns mit uns selbst. Regt auf und beruhigt gleichermaßen. Schirmt ab und bietet andere Perspektiven.

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*Unsere Randnotizen schreiben wir zeitgleich am selben Ort und fügen die Beobachtungen im Anschluss zusammen.