9 Abreise mit dem Geisterzug

Zeit in Vechta verfliegt und so sitze ich jetzt schon wieder in Düsseldorf auf dem Balkon. Jacke an, weil im Herbst blauer Himmel ja meist kältere Temperaturen heißt. Also friere ich ein bisschen, während ich mich über den Sonnenschein auf den sich herbstlich verfärbenden Bäumen freue und noch nicht über meine Zeit in Vechta nachdenke, sondern erst einmal nur über meine Rückreise.

Gestern wollte ich schon vormittags los. Nicht, dass ich Vechta fluchtartig verlassen wollte, aber ich hatte gehofft, nachdem ich mittags in Düsseldorf ankommen würde noch ein bisschen vom Tag zu haben, ganz entspannt meine Sachen ordnen zu können und trotzdem noch etwas unternehmen zu können.

Am 8.10. vormittags in Niedersachsen Zug fahren zu wollen, stellte sich als eine nicht so blendende Idee heraus. Als unverbesserliche Verteidigerin der Bahn muss auch ich sagen, dass es ziemlich ätzend war statt dreieinhalb Stunden ungefähr sechseinhalb unterwegs zu sein. Es lag nicht nur an den Problemen im Funkverkehr der Bahn, sondern auch an genereller Verspätung und Verspätung, die entsteht, wenn ein Zugführer in einem vollen Zug Sicherheitsvorgaben (freie Durchgänge) ernst nimmt.

Jedenfalls begann meine Abreise mit zwei extra Stunden in Vechta. Das Ergebnis für mich: zwei zusätzliche Bücher, die ich aus Vechta mitnehme und die Erkenntnis, dass es unmöglich ist, in Vechta zu existieren, ohne Menschen zu begegnen, die man nicht kennt (und dabei wohne ich noch nicht einmal in Vechta).

Auf einer weniger persönlichen Ebene: eigentlich ist das Schlimme ja nicht, dass es zu Problemen kommt. Das ist zwar nicht schön, aber irgendwie erträgt man das meistens schon. Das echt Schlimme ist das Unwissen, die Unklarheit, was genau passiert.

Als ich am Bahnhof ankam, war auf der Anzeige zu lesen, dass der vorhergehende Zug 45 Minuten Verspätung hätte und ich dachte, wunderbar, dann kann ich den noch nehmen und habe ein bisschen mehr Zeit zum Umsteigen in Osnabrück.

Der Zug kam aber nicht. Er verschwand einfach von der Anzeige, wurde abgelöst von der Information, dass der Zug den ich ursprünglich nehmen wollte, pünktlich kommt. Auch kein Problem. Warten. Eine neue Anzeige taucht auf. Der Zug hat wohl fünf Minuten Verspätung. Immer noch in Ordnung. Das Umsteigen sollte auch so funktionieren.

Ich schaue die Anzeige für den Zug Richtung Bremen an, da ich ja sonst nichts zu tun habe. Er soll pünktlich kommen, kommt aber nicht und dann verschwindet die Anzeige, als wäre er vorgefahren, hätte gehalten, eine Horde Geister auf Vechta losgelassen und sich dann wieder entfernt, ohne dass irgendwer von den Wartenden irgendetwas mitbekommen hätte. Oder als hätte er nie existiert.

Die Meldung, dass mein Zug fünf Minuten verspätet komme, hält sich länger. Erst als er ungefähr zwanzig Minuten zu spät wäre, verschwindet auch sie. Auch ein nicht existenter Geisterzug.

Noch hoffen die meisten am Gleis. In Deutschland und in Vechta ist man ja gewöhnt, dass Züge sich manchmal merkwürdig verhalten, aber dann werden doch Handys gezückt und recherchiert und nach und nach geben die Wartenden auf. Da kommt wohl kein Zug mehr.

Es war Sabotage, die dazu führte, dass „an den großen Bahnhöfen wie Hannover, Hamburg und Berlin“ viele Fahrgäste plötzlich zumindest zwischenzeitlich keine Fahrgäste mehr waren.

Und was hat das jetzt alles mit Unklarheit und Mangel an Wissen zu tun?

Es behebt nicht alle Schwierigkeiten, aber wenn kleine und große Krisen auftreten, ist Kommunikation entscheidend. Natürlich wären nicht alle Probleme behoben gewesen, aber eine Menge Frustration hätte meiner Meinung nach gestern reduziert werden können, wenn klar gewesen wäre, dass da gerade auf absehbare Zeit kein Zug kommt. Die Deutsche Bahn wusste wohl nicht, wann der Zugverkehr wieder anlaufen würde und die Strecke Bremen-Osnabrück stand vermutlich nicht ganz oben auf ihrer Prioritätenliste, aber genau dann finde ich es wichtig, die Fahrgäste nicht (ob absichtlich oder nicht) durch fehlende Informationen in einem Zustand vager Besorgnis hinzuhalten.

Stellen wir uns vor, es hätte eine Durchsage gegeben (eigentlich könnte hier schon der Punkt kommen), die gesagt hätte: „Es gibt gerade Funkprobleme. Der Zugverkehr musste eingestellt werden. Wir arbeiten an einer Lösung des Problems, können aber noch nicht sagen, wann der nächste Zug fährt.“

Für mich wäre vieles besser gewesen. Ich hätte mir eine halbe Stunde früher überlegen können, wie ich damit umgehe. Wie und wann ich meine Reise fortsetzen möchte und was ich bis dahin mache.

Stattdessen gab es weder eine Durchsage noch Wlan am Bahnhof mit dem man vielleicht an Informationen gekommen wäre. Das Interessante an der Berichterstattung über Ereignisse wie gestern, finde ich auch immer den Fokus der Medien auf die großen Bahnhöfe, Flughäfen, Städte, etc.. Dort ist die Menschenmasse größer also ist auch das Problem wichtiger. Dass an den großen Bahnhöfen auch Personal der Bahn ist, vielleicht funktionierendes Internet und es viel leichter ist, so die Lage zu verstehen, ist egal. Mir ist klar, dass solche Situationen für das Bahnpersonal definitiv nicht einfach sind. Auch sie hatten vermutlich wenige Informationen und sind überfordert, mit all den Fragen und Frustrationen, die plötzlich auf sie zu kommen.

Trotzdem würde ich sagen, dass die Lage an den kleinen Bahnhöfen eigentlich schwieriger ist. Keine Ansprechpartner*innen, keine Durchsagen, kein Internet, weniger bis keine alternativen Transportmittel. Dort ist man wirklich und tatsächlich gestrandet.

Wie auch immer. Das soll hier nicht in eine Stadt vs. Kleinstadt vs. Land-Debatte ausarten. Der eigentliche Punkt ist, dass das Vermitteln von Informationen und auch von Unwissen entscheidend ist. Ob bei so etwas (im Großen und Ganzen) Trivialen wie Zugausfällen oder bei der unsere existenzbedrohenden Klimakatastrophe, auf die wir zusteuern.

Um aus der Passivität herauszukommen, in der man Krisen bloß hinnimmt, muss man wissen, was der aktuelle Wissensstand ist und welche Handlungsoptionen sich daraus ergeben.
In Vechta bei Gesprächen über die Klimakrise tauchte auch das immer wieder auf. Der Wunsch, mehr Daten zu haben, wie sich bestimmte Produkte und Aktionen auf die Klimabilanz auswirken. Es wurde um Ehrlichkeit gebeten, was die Datenerhebung angeht, losgelöst von den Interessen von Politik, Lobbyverbänden, Unternehmen, Verbraucher*innen und Aktivist*innen.

Und das ist wichtig. Das ist sehr richtig. Wir haben nicht alle Informationen und manchmal können wir nicht abschließend abwägen, was der richtige Weg ist.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass es diese Informationen teilweise gibt und man sich manchmal, egal wie viele Steine einem die Welt in den legt, selbst auf den Weg machen muss, diese Informationen zu finden.

Also setzte ich mich gestern in eine Bäckerei, trank einen Tee und konnte dort das Wlan nutzen, um zu erfahren, was mit den Zügen los war und dass dann doch irgendwann wieder ein Zug fahren würde, um mich nach Osnabrück und dann nach Düsseldorf zu bringen, wo ich den Balkon verlassen musste (zu kalt). Also schreibe ich weiter in meinem Zimmer, wo ich nun nicht mehr Enten hören kann, die sich nebenan streiten sondern Straßenverkehr. Stadtleben.
Zum Abschluss dieses Blogeintrags habe ich vom Balkon noch ein Suchbild mitgebracht, mit Vögeln, die sich in Düsseldorf sehr heimisch fühlen.