Ausnahmezustand

Menetekel

Schon am Morgen kündigte sich das Unheil des Tages an: Zwei hohe, verglaste Zierblumenkübel fielen um und zersplitterten vor meiner Haustür.

Apokalypse

Ursache war ein kräftiger Wind, der gegen Mittag dann schweren Rauch in die Stadt trieb. Ich erfuhr erst später, dass er von einem Großfeuer kam, das in Lohne ausgebrochen war, wenige Kilometer südlich von Vechta. Der deutsche Geflügelfleischmarktführer brannte, aber nicht lichterloh, er brannte schwarz. Die Produktion von Huhn wurde auf die Produktion unendlicher Rauchberge umgestellt, die nun in alle Welt verschickt wurden. Zunächst aber bedienten sie die lokalen Märkte in Vechta.

Dicke, übelriechende Nebelschwaden zogen durch die Vorgärten und passten gar nicht zu ihnen. Noch kannte ich den Grund nicht. Verbrannten jetzt alle ihr Laub? Gab es da ein Ritual, das ich übersehen hatte? Fenster klappten zu, Menschen husteten, zogen sich die Schals ins Gesicht, um durch sie hindurch atmen zu können und ich sah zu, dass ich die Straße verließ und mich irgendwo in ein Café setzte.

Gestern noch hatte ich eine Prosaminiatur von Joseph Roth über den Rauch in den Städten des Ruhrgebiets gelesen. Nun war er hier, Roth steckte in meiner Tasche und der Rauch machte draußen, was er wollte, er trieb seine grauen Bataillone durch die Straßen, nahm Viertel um Viertel ein und errichtete ein Regiment, von dem man sicher sein konnte, dass es grausam wie Behemoth und geflügelt wie Ziz sein würde, jederzeit interventionsfähig, kurzum: total. Der Nebel wurde tatsächlich dichter.

Ich zog die Rothsche Offenbarung hervor und las noch einmal die Stellen zum Rauch: „Hier ist der Rauch ein Himmel. Alle Städte verbindet er. Er wölbt sich in einer grauen Kuppel über dem Land, das ihn selbst geboren hat und fortwährend neu gebärt. Wind, der ihn zerstreuen könnte, wird vom Rauch erstickt und begraben. Sonne, die ihn durchbohren möchte, wehrt er ab und hüllt sie in dichte Schwaden.“ Man darf sich nicht täuschen lassen: Er ist nur schön, wenn Roth über ihn schreibt. Dann bekommt der Rauch etwas Erhabenes, Frohsein und Wehsein verschmelzen zu einem mächtigen Unterwerfungsgefühl und man will niedersinken. Der Rauch „ist Opfer, Gott und Priester“. Die Bewohner sind „Gläubige des Rauchs“. So weit würde es doch wohl nicht kommen, ich hoffte auf Resistenz, solange bis ein Wunder eintritt.

Dann eine Verfärbung des Himmels: violett und ocker, ständig im Wechsel. So einen schaurigen Ockerton hatte ich noch nicht gesehen. Ocker, weil die Sonne mit den Wolken rang, die eins geworden waren mit dem Rauch, ihn aber zugleich auch bekämpften. Es war ein heilloses Durcheinander am Himmel. Es tröpfelte dick. Die Menschen stellten die Kragen hoch, zogen die Köpfe in die Jacken zurück, wer einen Schirm hatte, spannte ihn auf. Wer nicht, der ging jetzt noch schneller. Aber alle, auch die Eiligsten, beobachteten das Drama, das sich nun über ihren Köpfen abspielte. Ein mächtiger Regen ging nieder, prasselte wie er wollte, tanzte auf den Steinen. Die Leute rannten, es gab jetzt kein Halten mehr. Aber die Tropfen waren nicht für sie bestimmt, sondern gegen den Rauch gerichtet. Der Regen rang mit ihm, riss ihn zu Boden, besiegte ihn schließlich.

Erlösung

Als ich wenig später aus dem Café trat, war es deutlich heller geworden. Der Rauch, der vorhin noch so im Hals gekratzt hatte, war verschwunden, wahrscheinlich in den Regen gekrochen, der seine Reinheit wohl spätestens im Kampf eingebüßt hatte.

Die Sonne kam und brachte die Wassertropfen zum Glitzern, die an den dürren Ästchen eines Baumes am Europaplatz hingen. Nur eine blaue Plastikplane, die sich in seiner Krone verfangen hatte, zeugte vom Ausnahmezustand, der hier vor kurzem noch geherrscht hatte.