7 Vergissmeinnicht

Es ist die falsche Jahreszeit für Vergissmeinnicht, also habe ich kein Bild von ihnen (aus Vechta), aber ich musste heute an sie denken. In gewisser Weise ist der Klimawandel, das Vergissmeinnicht unter den Krisen. Ob die Blume ihren Namen bekam, da sie Gott zurief oder wegen ihr ein Liebender starb, der während seines Ertrinkens der Geliebten die magischen Worte zurief, ist letztlich irrelevant. Jedenfalls sah sich wohl irgendwer oder irgendetwas im Zusammenhang mit dieser kleinen (meist blauen) Blume in Gefahr, nicht in Erinnerung zu bleiben.

Auch wenn die Klimakrise nicht überall und definitiv nicht ausschließlich zu Blau (also blauem Himmel) führt und nicht klein und potentiell übersehbar ist, wäre wohl auch für die Klimakrise der Ausruf: „Vergiss mein nicht!“ gerechtfertigt.

Die Klimakrise leidet darunter, seit Jahren Thema zu sein. Jeder weiß, dass sie da ist. Dass wir handeln müssen. Jeder kennt Handlungsmöglichkeiten. Eigentlich. Man muss sich schon ziemlich viel Mühe geben, um wirklich nichts vom Klimawandel mitzubekommen oder nicht an ihn zu „glauben“.

Das Problematische daran, Dauerthema zu sein, ist jedoch, die Gewohnheit von uns als Gesellschaft und der Medien, uns immer nur auf ein Thema zu konzentrieren. Immer und immer wieder wird der Kampf gegen den Klimawandel aus den Köpfen verdrängt durch akute Krisenherde, die uns für den Moment wichtiger erscheinen und unser gesamtes Interesse einfordern. Natürlich ist es richtig Kriege, Pandemien etc. wahrzunehmen, jedoch geht dabei häufig verloren, dass Ausnahmesituationen selten losgelöst von einander bestehen und eben häufig auch auf die eine oder andere Art mit der Klimakrise im Zusammenhang stehen. Zum Beispiel ist gerade die Abhängigkeit von fossilen Ressourcen zur Energiegewinnung in aller Munde, die durch einen Umstieg auf klimafreundliche Energien reduziert werden könnte/kann. Auch das Auftreten und die Verbreitung von einigen Krankheiten steht in direktem Zusammenhang mit klimatischen Veränderungen.

Wie schnell die Bedrohlichkeit der Klimakrise vergessen wird, ist auch hier in Vechta offensichtlich. Das trifft wohl auf das Verhalten der einzelnen Bürger*innen und Unternehmen zu, ist aber auch an einer ganz einfachen Frage, die ich in den letzten Wochen häufig gestellt habe, ablesbar:

 

Wo sind Folgen des Klimawandels in Vechta schon sichtbar?

Zu Beginn meines Aufenthalts fiel den meisten die Antwort auf diese Frage schon fast zu einfach. Sie verwiesen auf den sterbenden Mais, die Waldbrandgefahr. Die Trockenheit des Sommers, die auch Ende August als ich hier auftauchte, noch anhielt, war in den Köpfen aller und erschien ihnen offensichtlich.

Ich hörte von einer Gesrpächspartnerin, man müsse solche Situationen politisieren. Man müsse ausnutzen, wenn sich der Klimawandel so aufdrängte, um Veränderungen durchzusetzen und tatsächlichen Klimaschutz zu bewirken.
Fast belächelte ich sie ein bisschen. Natürlich ist das eine gute Idee. Aber brauchen wir denn so etwas noch? Jedem muss doch klar sein, dass Klimaschutz in unser aller Interesse ist und dass es nicht notwendig sein sollte, einzelne Wetterereignisse (auch wenn sich viele von ihnen mittlerweile gut auf die Klimakrise zurückführen lassen) auszuschlachten.

In ein paar Wochen wird niemand mehr an die Dürre denken.

Ich wollte lachen. Und nun ein paar Wochen später – möchte ich weinen.

Schon jetzt fällt vielen meiner Gesprächspartner*innen, wenn sie keinen expliziten Bezug zur Klimathematik haben, die Antwort auf die Frage nach Folgen des Klimawandels in Vechta sehr viel schwerer. Erst nach einigem Bohren, wird vielleicht die Dürre erwähnt oder alternativ wird jetzt davon gesprochen, dass es ja so lange nicht mehr im Winter richtig geschneit habe.

Kein gutes Zeichen für den Platz, den die Klimakrise und ihre Folgen im öffentlichen Bewusstsein einnehmen. Problematisch an den Zyklen des Vergessens des Klimawandels ist natürlich auch, dass parallel eine Gewöhnung stattfindet. Um als extrem wahrgenommen zu werden, müssen Wetterereignisse immer schlimmer werden, wenn sie immer häufiger auftreten und so langsam zu einer neuen Normalität werden.

Wir werden uns wohl leider keine Sorgen machen müssen, dass es keine als außergewöhnlich empfundenen Extreme in nächster Zeit mehr gibt, aber wie viele Dürren, Hitzewellen und Hochwasser können wir noch verkraften, ohne dass uns ein Zusammenbruch aktueller sozialer und wirtschaftlicher Systeme dazu zwingt, anders zu leben, um überhaupt zu überleben? Wäre es nicht einfacher jetzt zu handeln? Jetzt zu versuchen eine sozial abgefederte Wende zu bewirken?

Wenn der Frühling also sein blaues Band mal wieder flattern lässt (oder idealerweise einfach grundsätzlich), hör die Klimakrise rufen: „Vergiss mein nicht!“

Und dieser Ausruf wendet sich wohl nicht an Gott, egal welche Sage zum Namen der kleinen blauen Blume einem mehr zusagt. Auf überweltliche Intervention zu warten, erscheint zynisch, bei all den Dingen, die wir als Einzelne tun können und die wir als Gesellschaft von der Politik einfordern können und sollten.