4 Stadt, Land, AAAAAAH! oder Zahlen machen Spaß, oder?

Was ist Vechta eigentlich?

Manchmal kommt diese Frage aus den unterschiedlichsten Gründen bei mir auf. Nein, es ist keine Frage, mit der sich die Bewohner*innen Vechtas (meines Wissens) so ausführlich beschäftigen. Ich glaube, sie sind da ganz gefestigt. Sie stehen zum Ländlichen, zu ihren katholisch geprägten Werten und gleichzeitig verweisen sie auf die Städtigkeit Vechtas. Auf die Uni, das Krankenhaus, den Bahnhof. Frei nach dem Motto: Vechta ist ländlich, aber es geht noch ländlicher. Und dann wird auf die verschiedenen Gemeinden (und dann deren Ortsteile) gezeigt.

Aber was ist Vechta?

Die Bundeszentrale für Politische Bildung (nein, Wikipedia, ich ignoriere, dass du mir als erste Quelle angeboten wirst) schreibt:

„Heute werden S. nach folgenden statistischen Kategorien geordnet: Landstädte = unter 5.000 Einwohner, Kleinstädte = 5.000–20.000 Einwohner, Mittelstädte = 20.000 bis 100.000 Einwohner, Großstädte = über 100.000 Einwohner.“1

Vechta Entdecken beruft sich wohl auf den wunderbar eloquenten Slogan des Landes Niedersachsen und sagt mir nur, dass

„Vechta wächst. Na klar.“2

Aber das hilft mir jetzt nicht wirklich. Also doch Wikipedia:

„Einwohner: 33.309 (31. Dez. 2021)“3

Somit ist Vechta wohl eine Mittelstadt. Eine kleine Mittelstadt. Wunderbar.

Warum das Herumgedruckse?
Auch wenn Vechta zu den Städten gehört, gibt es doch immer wieder Themen, die wohl in den Bereich Stadt vs. Land fallen und dabei ordnen sich die Vechtaer*innen ganz selbstbewusst wohl auf die Seite des Ländlichen. (Vielleicht wohnen meine Gesprächspartner*innen ja auch in einer der Gemeinden (oder gar einem Ortsteil).) Einige wiederkehrende Fragen sind:

Für wen wird eigentlich Klimapolitik gemacht?
Wem wird es einfacher gemacht, sich klimafreundlicher zu verhalten?
Wer verhält sich klimafreundlicher?
Welcher Lebenswandel ist tragbarer?

Eine kurze Internetrecherche verweist auf die immer gleichen zwei bis drei Studien zu diesem Thema, aber beginne ich einmal damit, was verschiedene Vechtaer*innen (vielleicht etwas überspitzt zusammengefasst) sagen.

Sicht A: Das Leben auf dem Land ist, was das Klima angeht eigentlich untragbar. Einfamilienhäuser zerstören die Landschaft mit ihrem extremen Platzverbrauch. Von der ineffizienten Energienutzung ganz zu schweigen. Und der Verkehr! Immer dieses Fahren mit dem Auto. Schrecklich. Fürs Klima müssten wir eigentlich alle in Städten wohnen.

Sicht B: Wer in der Stadt wohnt, macht ja klimatechnisch alles falsch. Diese Versiegelung überall. Hier muss man sich ja nur umschauen und schon ist man im Grünen. In der Stadt sind sie auch so verschwenderisch. Ressourcen werden vergeudet und der Müll bleibt dann auf der Straße liegen, auf die Idee würde ich in meinem Garten gar nicht kommen. Außerdem können wir hier ja erneuerbare Energie gewinnen. In der Stadt können die davon ja nur träumen.

Und was ist nun richtig?
Das kommt darauf an, wen man fragt.

Edward Glaeser argumentiert 2011 in seinem Buch „Triumph of the City“ für Sicht A. Er hat eine Studie in den USA durchgeführt und kommt zu dem Ergebnis, dass Städter*innen die einfach besseren Menschen sind. In New York verursachten Amerikaner*innen jährlich 6 Tonnen CO2 weniger als in den Vorstädten.4

Aber die USA sind nicht Deutschland und New York (oder die Suburbs New Yorks) sind nicht Vechta.

Eine finnische Studie von Jukka Heinonen kommt zum Gegenteiligen Ergebnis. Städter*innen lebten weniger klimafreundlich, da sie zwar für ihre eigene Wohnung und ihre Mobilität weniger Energie verbrauchten, aber eine ganz andere Breite an Freizeitangeboten nutzten. Die Aufrechterhaltung von Kinos, Theatern und allen möglichen anderen Strukturen kehre die Klimabilanz um.
Letztlich kommt Heinonen zu dem Ergebnis nicht der Ort, wo man lebt, sondern das Geld, das einem zur Verfügung steht, mache für die Klimafreundlichkeit den Unterschied. Reiche Menschen seien nicht nur global gesehen, sondern auch ganz regional hauptverantwortlich für klimaschädliche Abgase. 5

Dann wäre das ja geklärt.
Nicht Sicht A, nicht Sicht B.
Eigentlich geht es um Arm vs. Reich.
Und wo steht Vechta da? Wie sieht es da hier aus?

Bei meiner Recherche verzweifle ich. Es ist nicht zu schwierig an Daten zum Durchschnittseinkommen der Vechtaer*innen zu kommen. Im Mittel verdienen Vechtaer*innen 3117 € brutto im Monat. Für mich als Studentin (und Künstlerin/Autorin) eine ganze Menge. Jedoch sagt der Bundesvergleich etwas ganz anderes. Falls ich meine Mathe-Fähigkeiten nicht mit dem Abi abgelegt habe, haben bundesweit fast 77% der Gemeinden höhere Einkommen. Im Vergleich mit anderen Mittelstädten sind es fast 84%.6

Und doch wurde mir in den letzten Wochen immer und immer wieder erzählt, wie gut es Vechta gehe, wie reich die Region sei und irgendwie kann ich das auch nachvollziehen. Gehälter sind nicht Vermögen. Und wenn man sich hier umschaut, die hohe Dichte von Einfamilienhäusern sieht, all den Boden, der irgendwem gehören muss… Aber über das Vermögen der Vechtaer*innen schweigt sich das Internet beharrlich aus. Wenn dann möchte es mir noch etwas über Senior*innen erzählen, aber wohl oder übel muss ich akzeptieren, dass die Menschen im Allgemeinen hier einige statistische Geheimnisse vor mir bewahren werden…

Und jetzt? Das Ergebnis des ganzen: ich weiß es nicht. Ich war nicht fähig herauszufinden, ob die Durchschnitts-Vechtaer*innen jetzt besonders klimafreundlich oder -schädlich sind. Und vielleicht ist das auch okay, vielleicht ist es okay weiterhin nur anekdotisch zu erfahren, was die Menschen hier denken und tun gegen die Klimakrise und eines Tages wird mich der Wille, unnötig vielen Zahlen zu begegnen wieder überfallen und vielleicht wird es mir dann doch noch gelingen, auf anderem Weg mehr Licht ins Dunkle zu bringen. Dann wird es hier wohl ein Update geben.

Eine Sache noch über die ich bei meiner Recherche gestolpert bin:
Weniger Geld bedeutet Klimafreundlichkeit?

„Im Landkreis Vechta verdienen Frauen in Vollzeit etwa 780 Euro weniger als ihre männlichen Kollegen. (…) Das macht einen Unterschied von 25 Prozent.“7

Deutschlandweit liegt der Unterschied „nur“ bei 13%.
Ich, als Frau, weiß nicht, was ich davon halten soll. Ach doch, eigentlich weiß ich das schon, aber das gehört hier wohl nicht hin, denn das hat nichts mit einem witzigen Kommentar, ob ich schon durch mein Geschlecht klimafreundlicher bin, zu tun.


2 https://www.vechta-entdecken.de/startseite

5 vgl. https://www.quarks.de/umwelt/klimawandel/in-der-stadt-leben-ist-das-wirklich-besser-fuers-klima/#Leben2

6 vgl. https://www.zeit.de/arbeit/gehaelter/vechta-gehalt-vergleich#gehaelter-deutschland-gemeinden-vergleich-5-tab

7 https://www.om-online.de/om/frauen-verdienen-weiterhin-weniger-als-manner-32801